Schwarze Tage auf der Matte!
von Prof. Martin Guggi
Keine einzige Technik scheint zu funktionieren. Es ist mir bereits möglich die Angriffe des Partners zu antizipieren, jedoch scheine ich immer einen Schritt hinten nach zu sein. Was ist bloß los mit mir? Was ich auch probiere, nichts, aber auch gar nichts kommt einem Erfolg nahe. Bin eigentlich ich der Einzige der keine Fortschritte macht? Naja, kein Wunder, mit meinen Körper und anatomischen Vorrausetzungen bin ich sowie benachteiligt.
BJJ ist kein einfacher Sport. Wir alle haben rabenschwarze Tage auf der Matte erlebt und doch haben wir weitergemacht und sind heute an dem Punkt ankommen, wo wir uns jetzt befinden. Es war nicht immer einfach aber wir haben nicht aufgegeben, auch wenn wir manchmal knapp davor waren. Gute Ratschläge von Trainingspartnern scheinen zwar manchmal gut gemeint aber so wirklich hilfreich sind sie nicht immer… Trotzdem möchte ich meine Sichtweise auf diese „Tiefs“ teilen, mit der Hoffnung doch dem einen oder anderen Hoffnung zu schenken, dass es nicht so bleiben wird.
Nach Sparringseinheiten kenne ich den Ausdruck in den Gesichtern meiner Athleten. Der eine, bei dem alles funktioniert hat, strahlt übers ganze Gesicht, seine ganze Körperhaltung spricht für seine Euphorie. Denen die sich jedoch an diesem Tag auf der Matte am unteren Ende der Nahrungskette befunden haben, starren vor sich hin. Ihr Gesicht ist nachdenklich, sie können es immer noch nicht fassen, dass heute keine Aktion so richtig aufgegangen ist. Ihre Schultern hängen nach unten und ihre Augen sind leer.
Als erstes möchte ich unsere BJJ Probleme ins rechte Licht rücken. Wir wohnen in Europa, haben den Luxus uns über „schwarze Tage auf der Matte“ den Kopf zu zerbrechen und sind nicht von Gedanken ums Überleben geplagt. Unsere Existenz ist gesichert und wir haben Zeit unsere Freizeit mit Brasilien Jiu Jitsu zu verbringen. Weltweit gesehen können wir uns als Lottogewinner fühlen, welche ein Leben führen, dass nur ca. 30% der Weltbevölkerung vorbehalten ist. Unser Problem mit unserem Hobby ist also zu relativieren.
Als BJJler, die ihren Sport jedoch lieben, sind diese Probleme nicht wegzureden. Wir wissen, dass nur ca. 65% der Leute welche mit dem BJJ anfangen die erste Hürde des blauen Gürtels meistern. Der Rest hört frühzeitig mit dem Sport auf. Hauptgrund um mit dem BJJ aufzuhören sind jedoch Verletzungen. Hoch und Tiefs gehören bei jedem Sport dazu, müssen aber mit der richtigen Einstellung begegnet werden sonst können sich auch dazu führen, dass man das Grappling an den Nagel hängt.
Fehler 1:
Vergleiche dich niemals mit Trainingspartnern. Deine Fortschritte hängen nicht von der Entwicklung einer anderen Person ab und können deswegen auch nicht mit den Entwicklungsschritten eines Partners verglichen werden. Dein Ziel sollte sein deine Gedanke auf dich selbst zu fokussieren und objektiv die Situationen an denen du scheiterst zu analysieren. Freu dich lieber dafür, dass dich deine Trainingspartner noch mehr fordern werden wenn sie besser werden, vergleiche dich aber nicht mit ihnen!
Fehler 2:
Wenn Teile deines Games noch nicht funktionieren, heißt das noch lange nicht, dass du überall schlecht bist. Macht dich nicht selbst schlechter als du bist. Sei kritisch! Aber sei nicht zu hart mit dir selbst! Was sind deine Stärken? Wo sind deine Hauptschwächen? Was machen deine Trainingspartner regelmäßig, um deine Guard zu passieren? Warum wirst du gesweept? Und dann geh deine Probleme Schritt für Schritt an!
Fehler 3:
Dein Trainingspartner, mit dem du dich vergleichst, trainiert 4x die Woche und du nur 2x! Das heißt er macht mehr Fortschritte als du und schneller, weil er mehr Zeit investiert wie du. Bist du deswegen schlechter? Ja, auf der Matte schon, denn du bekommst nur das raus, was du auch reinsteckst, deswegen wirst du aber auf anderen Ebenen Fortschritte machen, die dein Trainingspartner aufgrund der Zeit, die er auf der Matte verbringt, nicht machen kann. Du hast eine Familie, Kinder, eine funktionierende Partnerschaft, einen Beruf, ein Haus, eine Haustier usw. dies alles braucht Zeit und dies alles verbessert deine Lebensqualität – gestehe dann aber auch deinen Trainingspartner zu, dass sie dort besser werden wo sie in ihrem Leben mehr Wertigkeit einräumen und Zeit investieren als du.
Fehler 4:
Konzentriere dich auf Details! Kleinigkeiten machen den Unterschied aus. Wenn du im BJJ besser werden willst, dann musst du mehr und konzentrierter BJJ trainieren. Nicht Krafttraining, nicht BJJ Videos schauen, sondern einfach mehr Drillen, Rollen und Lernen. Mit der Zeit weißt du wie man die Guard passiert und wie man sie haltet, trotzdem gibt es Leute die besser sind als du. Warum? Weil sie mehr Erfahrung haben, weil sie mehr Details berücksichtigen und weil sie somit einfach besser sind als du! Akzeptiere es oder mach was dagegen, aber bade nicht im Selbstmitleid!
Fehler 5:
Jeder Rat kann einem eine Hilfe sein oder auch nicht! Für mich ist die größte Hilfe aber die, wenn ich selbst auf Lösungen draufkomme. Dies geht sehr einfach! Ich schnapp mir mein Handy oder eine Kamera und filme meine Sparringseinheiten im Gym mit. Daheim analysiere ich dann meine Probleme und Schwachstellen und im nächsten Training werden die drei offensichtlichsten mit neuen Techniken, welche ich auf YT oder bei meinem Trainier erfragt habe, gedrillt! Filmen hilft wirklich – und dabei kann ich mich selbst verfolgen und an mir selbst arbeiten. Ich versuche immer an meinen drei schwächsten Punkten zu arbeiten aber auch meine drei stärksten Attribute weiter auszubauen.
Fehler 6:
Ich will alles zugleich. Ich muss an meiner Guard arbeiten, an meinen Takedowns und an meinem Guardpassing! Außerdem müssen meine Submissions gefährlicher werden und ich brauche einen besseren Weg, um die Triangel zu finishen. Analysiere das Video von dir und konzentriere dich nur auf deine Guard. Nach ein bis drei Monaten versuchst du dich dann aufs Guardpassieren zu spezialisieren usw. Kein Weltmeister ist in einer Einheit entstanden, sondern hat Stunden investiert und sein Game von vorne bis hinten in Blöcken verbessert. Wenn du dein eigenes Video analyisiert konzentriere dich auch wieder nur auf die Bereiche die du gerade verbessern willst. Vergiss es ob du submitted wurdest, manchmal sollte man sich einfach daran erfreuen, dass man die Guard schon 30 Sekunden länger halten konnte als vorher, dass der Partner dich nicht mehr in 3 Sekunden gesweept hat sondern erst in 20 Sekunden. Das heißt du bist auf dem richtigen Weg und musst an diesen Situationen weiterarbeiten. Wenn du aber nur siehst, dass du am Ende wieder submitted wirst machst du dich nur selbst fertig. Vergiss die Submission und versuche in Teilbereichen deines Games zu wachsen.
Vergiss nach wie vor nicht Spass zu haben. Du hast dich für diesen Sport entschieden und du musst auch den Preis zahlen, um darin besser zu werden. Deine Anatomie ist kein Hindernis, sondern deine Möglichkeit dich zu spezialisieren. Nur du kannst das Beste aus deinem Körper herausholen und dich selbst zu einem gefährlichen BJJler entwickeln. „Life is not happening to you, it is happening for you!“ Deine Anatomie ist im BJJ deine beste Möglichkeit, um dein Game auf dich anzupassen und zu individualisieren. Wir trainieren nicht um jemand zu kopieren, sondern um die Fähigkeiten zu bekommen aus all den erlernten Techniken das herauszunehmen was für uns, auf unseren Körper, am besten passt und am effektivsten funktioniert. Lange Beine können ein Vorteil sein, aber auch ein Nachteil. Schnelligkeit kann zum Vorteil eingesetzt werden aber dir auch zu Verhängnis werden wenn du sie falsch einsetzt. Dein Gewicht wirken zu lassen um dich zu positionieren kann sehr gut verwendet werden, dich aber auch in gewissen Situationen vor notwendigen Positionswechsel abhalten.
Sei kein Narr und zerfließe in Selbstmitleid. Überwinde deine Talfahrt und konzentriere dich wieder auf Details. Vergiss nie, in den Krisen kann der Mensch am Meisten über sich selbst erfahren und wachsen. Lass diesen Erfahrungen aber auch Handlungen folgen und du wirst im Nachhinein jede deiner Krisen zu schätzen wissen. Wissen ist nur dann Macht, wenn man auf dem Wissen aufbauend Handlungen injiziert.
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